Ein Mann hat keine Ahnung, aber dafür Inkompetenzkompensationskompetenz

Inkompetenzkompensationskompetenz – keine Ahnung, oder was?

Inkompetenzkompensationskompetenz – was für ein Wortungetüm. Was kompliziert klingt, meint etwas ganz Simples: Viele Menschen sind gut darin, ihre eigenen Unzulänglichkeiten zu kaschieren. Das kann in vielen Situationen vorteilhaft sein und dem beruflichen Aufstieg auf die Sprünge helfen. Was genau sich hinter der Inkompetenzkompensationskompetenz verbirgt, welche Folgen sie haben kann und wie man darauf bei anderen reagieren kann, erfährst du hier.

Inkompetenzkompensationskompetenz – was ist das?

Hast du schon einmal von Inkompetenzkompensationskompetenz gehört? Vermutlich nicht. Begegnet ist sie dir aber wahrscheinlich schon öfter. Inkompetenzkompensationskompetenz ist ein nicht ganz ernst gemeinter Begriff für die Fähigkeit eines Menschen, seine eigene Inkompetenz zu verbergen.

Ursprünglich diente der Begriff als humorvolle Umschreibung der Philosophie in der heutigen Zeit. Der Philosoph Odo Marquard hat den Ausdruck bei einem Vortrag im Jahr 1973 geprägt. Er bezog sich dabei auf den Umstand, dass seiner Ansicht nach im Laufe der Geschichte der Philosophie immer mehr ihrer ursprünglichen Kompetenzen verlorengegangen sind.

Nach Odo Marquards Sichtweise war die Philosophie mal kompetent in allen möglichen Lebenslagen. Sie befasste sich mit politischen ebenso wie mit gesellschaftlichen Fragen oder der Frage nach dem sinnhaften Leben. Heute sind es aber nicht mehr Philosophen wie Sokrates, Plato oder Seneca, die den Ton in der öffentlichen Debatte angeben, sondern andere Gruppen – etwa Politiker, Wissenschaftler oder religiöse Figuren. Dieser Wandel hat nach Ansicht von Odo Marquard dazu geführt, dass der Philosophie nur noch das Eingeständnis der eigenen Inkompetenz bleibt, also ihrer Inkompetenzkompensationskompetenz.

Seit der Prägung des Begriffs durch Odo Marquard hat sich seine Bedeutung ausgeweitet. Der Soziologe Ralf Lisch etwa hat sich in einer Publikation mit der Inkompetenzkompensationskompetenz von Managern befasst. Grundsätzlich kann Inkompetenzkompensationskompetenz sich in allen Lebenslagen bemerkbar machen – beim Verhalten des Chefs, bei Kollegen oder auch Geschäftspartnern. Auch im Privatleben kann es Situationen geben, in denen Menschen überspielen, dass sie eigentlich nicht wissen, was sie tun.

Inkompetenzkompensationskompetenz: Merkmale und Auswirkungen

Woran kann man erkennen, dass jemand, der kompetent wirkt, in Wahrheit inkompetent ist? Inkompetenzkompensationskompetenz aufzudecken ist gar nicht so einfach: Wer diese Fähigkeit besitzt, lässt sich ja gerade nicht anmerken, dass er keine Ahnung hat. Personen mit hoher Inkompetenzkompensationskompetenz können, gerade bei oberflächlichen Kontakten, sogar besonders kompetent und fähig wirken. So schaffen sie es im Bewerbungsprozess, den Entscheidungsträgern in einem Unternehmen nahezulegen, dass sie die beste Wahl für den Job sind. Oder dem Chef so lange Kompetenz vorzugaukeln, bis er sie befördert.

Die gute Nachricht: Inkompetenzkompensationskompetenz zu erkennen wird im Laufe der Zeit leichter. Je besser man einen Menschen kennt, desto eher kann man bemerken, dass er doch nicht so kenntnisreich und qualifiziert ist wie ursprünglich gedacht. Vielleicht gerät ein Kollege oder der Chef zum Beispiel hin und wieder ins Schlingern, wenn tiefergehendes Wissen oder bestimmte Fähigkeiten gefragt sind. Oder es ist auffällig, dass jemand bestimmte Aufgaben immer wieder an andere abtritt. Das kann auf Defizite in diesem Bereich hindeuten und damit ein Hinweis auf eine hohe Inkompetenzkompensationskompetenz sein.

Für Menschen, die sie besitzen, ist Inkompetenzkompensationskompetenz ohne Frage hilfreich. Schließlich halten die anderen einen für kompetent, obwohl man es gar nicht ist. Damit kann man viel erreichen – vorausgesetzt, man schafft es lange genug, den schönen Schein aufrechtzuerhalten. Menschen mit Inkompetenzkompensationskompetenz können zum Beispiel Karriere machen und in Führungspositionen aufsteigen, wenn die richtigen Personen sie für hochqualifiziert halten.

Kann man Inkompetenzkompensationskompetenz lernen?

Inkompetenzkompensationskompetenz kann im Beruf und im Privatleben viele Türen öffnen. Kein Wunder also, dass sich manche Menschen fragen, ob man diese Fähigkeit eigentlich lernen kann. Die Antwort lautet: Ja, kann man. Die andere Frage ist, ob man das auch sollte.

Wohl die wenigsten Menschen mit ausgeprägter Inkompetenzkompensationskompetenz haben es darauf angelegt, sich diese Fähigkeit anzueignen. In vielen Fällen entsteht sie eher aus der Not heraus, weil jemand überfordert ist, sich das aber nicht anmerken lassen möchte beziehungsweise sollte. Das kann nicht nur Beschäftigte in Führungspositionen betreffen, sondern auch „einfache“ Arbeitnehmer ohne besonderen Rang. Der Druck im Beruf ist oft hoch, und wer zugibt, von manchen Dingen keine Ahnung zu haben, kann sich schnell selbst auf die Abschussliste setzen.

Inkompetenz kaschieren: Welche Möglichkeiten gibt es?

Es gibt viele Ansätze, die eigene Inkompetenz zu kaschieren. Um nur einige Möglichkeiten zu nennen:

  • Führungskräfte können Aufgaben an Mitarbeiter delegieren, für die sie selbst nicht das nötige Fachwissen oder die nötigen Kompetenzen mitbringen. Indem diese Dinge an andere übertragen werden, fällt gar nicht auf, dass sie sich damit gar nicht auskennen.
  • Wer als Chef beschäftigt wirken möchte, es aber gar nicht ist, kann seine Bürotür schließen. Dann weiß niemand so richtig, was der Vorgesetzte eigentlich den ganzen Tag macht. Phasen, in denen die Führungskraft nicht wirklich etwas Produktives tut, fallen weniger stark oder gar nicht auf. Dasselbe Prinzip gilt natürlich auch für andere Arbeitnehmer.
  • Eine Taktik kann darin bestehen, anderen Menschen oder den Umständen die Schuld für bestimmte Tatsachen zuzuschieben. Je besser die Ausrede, desto weniger fällt das Ganze negativ auf die inkompetente Person zurück.
  • Bei der Zusammenarbeit im Team kann ein Beschäftigter sein Unwissen verbergen, indem er sich dezent zurückhält, andere machen lässt und nur hier und da einen cleveren Kommentar abgibt.
  • Führungskräfte können die möglichen negativen Folgen ihrer Inkompetenz abmildern, indem sie ihre Mitarbeiter zu mehr unternehmerischem Denken und kreativen Ideen anregen. Je mehr die Mitarbeiter machen, desto weniger muss die Führungskraft selbst tun. Und die guten Ideen der Mitarbeiter fallen am Ende positiv auf den Vorgesetzten zurück – Win-win.
  • Es kann auch hilfreich sein, wichtig auszusehen – mit eleganter Kleidung suggeriert man einen bestimmten Status und kann Eindruck bei anderen schinden. Auch dadurch kann man kompetenter wirken als man tatsächlich ist.

Inkompetenzkompensationskompetenz lernen? Warum es einen besseren Weg gibt

Sollte man sich also Inkompetenzkompensationskompetenz aneignen? Eine wirklich solide Strategie ist das nicht. Es mag zwar vorübergehend hilfreich sein, die eigenen Unzulänglichkeiten zu verstecken, vor allem, wenn ein Eingeständnis des eigenen Unvermögens weitreichende Konsequenzen hätte. Wer etwa zugeben müsste, dass er eigentlich schon seit geraumer Zeit nicht weiß, wie er bestimmte Dinge angeht, riskiert schnell seinen Job.

Auf lange Sicht wäre es allerdings die bessere Option, nicht an der eigenen Außenwirkung zu arbeiten, sondern an den eigentlichen Kompetenzen. Wer sich fehlendes Wissen oder mangelnde Fähigkeiten aneignet, muss schließlich nicht mehr so tun, als wäre er kompetent. Langfristig kommt ein solcher Mensch weiter – die Gefahr ist groß, dass es früher oder später auffliegt, wenn jemand nur vorgibt, hochqualifiziert zu sein.

Inkompetenzkompensationskompetenz bei Kollegen: Wie geht man am besten damit um?

Die Inkompetenzkompensationskompetenz anderer Menschen kann für Unmut sorgen. Nehmen wir an, es betrifft den Chef: Oft merken die Mitarbeiter nach einer gewissen Zeit, dass der Vorgesetzte von vielen Dingen keine Ahnung hat. Das kann Wut und Frust auslösen – besonders, weil man in einer solchen Situation wenig tun kann. Die Möglichkeiten eines Mitarbeiters, der noch an seinem Job hängt, sind begrenzt. Wer den Vorgesetzten an übergeordneter Stelle anschwärzt, sorgt damit womöglich dafür, dass der Chef erfährt, wer ihn verpfiffen hat – keine gute Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit oder gar einen Aufstieg im Unternehmen.

Ärgerlich ist es auch, wenn ein Kollege mit seiner Inkompetenzkompensationskompetenz glänzt. Manche Arbeitnehmer nutzen ihre Inkompetenzkompensationskompetenz nur, um die Erwartungen des Arbeitgebers zu erfüllen. Andere gehen einen Schritt weiter, indem sie sich als besonders wertvolle Mitarbeiter stilisieren – nicht selten auf Kosten anderer. Solche Menschen klauen gerne die Ideen anderer oder schreiben sich die guten Leistungen des Teams auf die eigene Fahne. Das ist nicht nur unfair. Ein Beschäftigter, der in Wahrheit inkompetent ist, sorgt wahrscheinlich auch dafür, dass die Kollegen mehr Arbeit haben, weil sie seine Unzulänglichkeiten auffangen müssen.

Wie kann man auf Inkompetenzkompensationskompetenz von Kollegen reagieren?

Was kann man in solchen Fällen tun? Auch hier ist die Lage schwierig: Zum Chef zu rennen ist nicht die feine Art. Der Kollege gerät dadurch womöglich in Schwierigkeiten. Schlimmstenfalls gerät man sogar selbst ins Fadenkreuz: Der Vorgesetzte könnte glauben, dass man aus anderen Gründen ein Problem mit dem Kollegen hat und ihm durch erfundene Vorwürfe schaden möchte. Deshalb solltest du gut abwägen, ob du in einer solchen Situation mit dem Chef sprechen möchtest und wie du die Angelegenheit schilderst.

Es kann eine gute Idee sein, vorher oder stattdessen ein offenes Gespräch mit dem betreffenden Kollegen zu führen. Das kann sich vor allem dann lohnen, wenn du glaubst, dass der Kollege seine Inkompetenz aus der Not heraus verbirgt und es ihm nicht darum geht, zu glänzen. Eine weitere Option besteht darin, sich zu weigern, zusätzliche Arbeit für den Kollegen zu übernehmen. Dadurch fällt Vorgesetzten womöglich früher oder später auf, dass es bei dem Kollegen Defizite gibt.

Im Umgang mit der Inkompetenzkompensationskompetenz anderer kann es sich aber auch lohnen, die eigenen Denkweisen und Impulse zu hinterfragen. Was hast du davon, wenn du dich in die Sache hineinsteigerst und dich über das Verhalten des Kollegen ärgerst? Womöglich lenkst du dich damit von deiner Arbeit ab und machst dir schlechte Laune. Dass der Kollege tatsächlich bekommt, was er verdient, ist fraglich. Es kann deshalb sinnvoll sein, deine Energie lieber in deinen eigenen Job zu stecken. Wenn du gute Arbeit leistest, fällt das deinem Vorgesetzten garantiert positiv auf. Und wer weiß, vielleicht beginnt die schöne Fassade des Kollegen ja schon bald zu bröckeln – früher oder später fällt es fast immer auf, wenn jemand nicht so fähig ist, wie er behauptet.

Bildnachweis: golubovystock / Shutterstock.com


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