Ein Angestellter ist umgeben von klatschenden Kollegen

Zu nett sein: Strategien und Wege aus der Nettigkeitsfalle

Fühlst du dich oft ausgenutzt, weil du zu nett bist? Dann steckst du womöglich in der Nettigkeitsfalle. Erfahre hier mehr darüber, welche Möglichkeiten es gibt, dich daraus zu befreien: Wie kommuniziert man die eigenen Bedürfnisse klar und setzt anderen Grenzen, ohne unfreundlich oder respektlos zu werden?

Psychologie: Zu nett sein – was heißt das?

Hast du schon mal gedacht: Ich bin zu nett für diese Welt? Oder haben dir andere gesagt, dass du zu nett bist? Viele Menschen stecken in der Nettigkeitsfalle. Aber was heißt das eigentlich genau – was ist gemeint, wenn jemandem bescheinigt wird, „zu nett“ zu sein?

Zu nett ist eine Person dann, wenn ihre Nettigkeit ein gesundes Maß überschreitet. Sie ist netter, als es der Situation oder anderen Menschen angemessen ist. Oder netter, als es ihr selbst guttut. Interaktionen sind dann häufig übermäßig freundlich und von großer Nachgiebigkeit und Hilfsbereitschaft geprägt ist. Das freut andere, geht aber zumeist auf Kosten der eigenen Bedürfnisse. Im Job kann es auch dazu führen, dass kostbare Ressourcen nicht mehr für die eigene Arbeit zur Verfügung stehen, weil man sie für andere einsetzt.

Wie genau sich das „zu nette“ Verhalten äußert, kann sich von Fall zu Fall unterscheiden. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand zu viel Rücksicht auf andere nimmt. Er traut sich dann womöglich nicht, seine Meinung zu sagen oder eine Entscheidung zu treffen, mit der er seine eigenen Bedürfnisse in den Mittelgrund stellen würde. Zu nette Menschen haben oft große Probleme damit, Nein zu sagen. Sie vermeiden Konflikte und tun sich schwer damit, sich gegenüber anderen zu behaupten. Sie kommen anderen übermäßig entgegen und verbiegen sich nicht selten dafür.

Wenn jemand in der Nettigkeitsfalle steckt, kann das in psychologischer Hinsicht unterschiedliche Ursachen haben. Oft ist das Bedürfnis der Betroffenen nach Anerkennung groß – mitunter so groß, dass sie nichts tun würden, das andere vor den Kopf stoßen oder enttäuschen könnte. Zugleich ist das Selbstwertgefühl der Betroffenen in vielen Fällen niedrig. Sie haben Angst, dass andere sie ablehnen könnten, wenn sie ihre Meinung sagen, Grenzen setzen oder für sich einstehen. 

Hilfe, ich bin zu nett! Wozu das führen kann

Wenn jemand zu nett zu anderen ist und dadurch seine eigenen Bedürfnisse und Grenzen übergeht, kann das Folgen haben – für ihn persönlich, aber auch für seine beruflichen Aussichten und die Beziehungen zu anderen Menschen.

Auf der persönlichen Ebene kann es auf Dauer sehr belastend sein, wenn jemand in die Nettigkeitsfalle tappt. Stress, Überlastung, Frust und andere negative Gefühle können die Folgen davon sein. Die Betroffenen haben womöglich das Gefühl, dass andere sie ausnutzen. Sie können sich in einer Opferrolle sehen, aus der sie nicht herauskommen. Zu nett zu sein, kann auf diese Weise ernsthafte psychische Probleme wie Burnout oder Depressionen begünstigen. 

In beruflicher Hinsicht kann es ebenfalls folgenreich sein, wenn jemand zu nett ist. Er möchte es allen recht machen, kann aber gerade dadurch den Respekt von anderen verlieren. Es kann sein, dass andere seine Leistungen und sein Engagement nicht würdigen. Wenn jemand zu allem Ja sagt, kann er sich damit überfordern. Kollegen und Vorgesetzte können ihn ausnutzen. Auch für die Karrierechancen ist es nicht unbedingt zuträglich, wenn jemand nicht Nein sagen kann. Er kann sich dann schlechter auf seine Kernaufgaben und individuellen Ziele fokussieren, weil er ständig damit zu tun hat, anderen zu helfen.

Für zwischenmenschliche Beziehungen kann eine besonders nette Art positive wie negative Effekte haben. Andere wissen es womöglich zu schätzen, wenn jemand immer für andere da ist und sich für sie aufopfert. Die Beziehungen zu anderen können dadurch gestärkt werden. Umgekehrt kann es jedoch auch sein, dass man als leichtes Opfer gesehen wird – eine Art „Depp vom Dienst“. Andere nehmen die Bedürfnisse der Betroffenen oft nicht ernst, weil diese nicht für sich einstehen. 

Steckst du in der Nettigkeitsfalle? So erkennst du, ob du zu nett bist

Wer im Job als zu nett wahrgenommen wird, kann von anderen ausgenutzt werden – und verzettelt sich womöglich in seiner Selbstaufgabe für andere, statt eigene Interessen zu verfolgen. Woran erkennt man, ob man auf dem Weg in die Nettigkeitsfalle ist?

Die folgenden Anzeichen sprechen dafür, dass du überdenken solltest, wie du dich anderen gegenüber verhältst:

  • Wenn andere dich um einen Gefallen bitten, lautet deine Antwort standardmäßig Ja – egal, wie hoch dein Workload ist.
  • Du traust dich nicht, Nein zu sagen, weil du andere nicht enttäuschen oder hängen lassen möchtest.
  • Vielleicht bist du auch konfliktscheu – und schluckst deinen Frust lieber herunter, statt ihn offen zur Sprache zu bringen.
  • Weil du andere unterstützt, gerätst du bei deinen eigenen Aufgaben unter Druck.
  • Du hast das Gefühl, dass andere dich nicht ernst nehmen, obwohl du immer für sie da bist – deine Hilfe aber wird scheinbar als selbstverständlich angesehen.
  • Vielleicht gibt es sogar Kollegen, die standardmäßig ungeliebte Aufgaben an dich abtreten.
  • Du bist schlecht darin, anderen Grenzen zu setzen oder sie zur Rede zu stellen.
  • Was du willst, scheint dir nicht so wichtig – oder du traust dich nicht, es klar einzufordern.
  • Du bist im Job oft gestresst und frustriert, weil du dich durch deine vielen Projekte und Hilfen für andere überlastet fühlst.
  • Nach deiner Meinung fragt niemand, weil du sie sowieso nicht äußerst.

Um zu erkennen, ob du zu nett zu anderen bist, lohnt sich Selbstreflexion. Hinterfrage dein Verhalten, deine Reaktionen und Motive. Auch Rückmeldungen von anderen können aufschlussreich sein. Frage zum Beispiel Kollegen, mit denen du dich gut verstehst, Freunde oder Angehörige, wie sie die Situation wahrnehmen.

Wege aus der Nettigkeitsfalle: Tipps und Strategien

Es ist weder schön noch anderweitig erstrebenswert, in eine Nettigkeitsfalle zu tappen. Viele Betroffene können zwar nicht Nein sagen, fühlen sich aber insgeheim ausgenutzt oder ungerecht behandelt. Dann ist es wichtig, zu wissen, wie man aus der Nettigkeitsfalle wieder herauskommt. Das gelingt, wenn du die Balance zwischen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft auf der einen und Durchsetzungsvermögen auf der anderen Seite findest.

Warum bist du zu nett?

Dafür ist es hilfreich, wenn du weißt, wie du tickst: Warum kommst du anderen immer wieder über alle Maße entgegen? Warum tust du dich so schwer, Grenzen zu setzen oder auch nur Nein zu sagen? Vielleicht bist du grundsätzlich konfliktscheu oder Hilfsbereitschaft ist ein wichtiger Wertfür dich. Setze dich mit deinen Beweggründen auseinander – wenn du sie verstehst, ist es leichter, deine Muster zu durchbrechen.

Nein sagen ohne Schuldgefühle

Um aus der Nettigkeitsfalle herauszukommen, musst du lernen, Nein zu sagen, ohne dich dafür schuldig zu fühlen. Du solltest auch nicht entschuldigend auftreten – in den meisten Fällen bist du niemandem etwas schuldig. Sage also nicht: „Es tut mir wirklich total leid, aber ich kann das derzeit nicht übernehmen“, sondern lieber: „Ich bin gerade voll ausgelastet mit meinen Aufgaben“.

Es kommt natürlich darauf an, mit wem du redest, und selbstverständlich darfst du empathisch auftreten. Du solltest aber nicht in eine Rolle schlüpfen, in der du gar nichts verloren hast – was andere tun, liegt nicht in deiner Verantwortung. Es kann sinnvoll sein, sich daran regelmäßig zu erinnern. Nutze Gelegenheiten, Nein zu sagen, damit es leichter wird und sich natürlicher für dich anfühlt. Dazu gehört auch, unangenehme Gefühle auszuhalten, die damit vor allem am Anfang wahrscheinlich verbunden sein werden.  

Grenzen setzen, eigene Bedürfnisse ernst nehmen

Wenn du zu nett bist, ist es wichtig, dass du anderen Grenzen setzt, damit sie deine Bedürfnisse nicht übergehen. Das setzt ein gewisses Selbstbewusstsein voraus, das bei dir möglicherweise noch nicht in dieser Form vorhanden ist. Stärke dein Selbstwertgefühl gezielt – zum Beispiel, indem du dir vor Augen führst, was du kannst und was du schon alles erreicht hast. Erinnere dich daran, dass deine Zeit und Ressourcen wertvoll sind und dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn du dich selbst an die erste Stelle setzt. Nur so kannst du langfristig gesund und leistungsfähig bleiben.

Selbstfürsorge kann dich davor bewahren, in die Nettigkeitsfalle zu tappen. Dafür musst du wissen, wo deine Bedürfnisse und Wünsche liegen und wie du sie erfüllen kannst. Diese Dinge sollten einen hohen Stellenwert für dich haben: Übergehe sie nicht, um anderen entgegenzukommen. Wenn du dich nicht um dich kümmerst, tut es womöglich auch sonst niemand.

Nicht ins andere Extrem verfallen

Nein sagen und Grenzen setzen lernen heißt nicht, dass du anderen nie helfen solltest oder gar darfst. Es kommt eben darauf an, wie es um deine Kapazitäten bestellt ist. Vielleicht möchtest du auch danach differenzieren, wer dich fragt – es macht einen Unterschied, ob es eine liebe Kollegin ist, die im Umkehrschluss auch für dich da wäre, oder ein Kollege, der immer nur nimmt, aber nicht gibt. Zugleich ist es wichtig, dass du im Zweifel deine Aufgaben – und dein Wohlbefindenpriorisierst.

Verfalle dabei nicht ins andere Extrem. Nicht wenige Menschen, die sich immer für andere aufgeopfert haben, schaffen es irgendwann, die Nettigkeitsfalle zu verlassen. Manche werden dann zu regelrechten Egoisten, die für andere weder da sind noch auf sie Rücksicht nehmen. Das mag zwar hilfreich sein, um eigene Ziele zu erreichen und Bedürfnisse zu erfüllen – aber es kann Beziehungen zu anderen Menschen belasten. Nur an sich zu denken, ist schließlich auch kein feiner Zug.

Tipps für die Kommunikation mit anderen: Durchsetzungsfähig, aber respektvoll

Wenn du dich aus der Nettigkeitsfalle befreien möchtest, ist es wichtig, dass du deine Bedürfnisse ernst nimmst – und sie gegenüber anderen Menschen kommunizierst, wenn das nötig oder hilfreich ist. Zugleich möchtest du aber sicherlich niemanden vor den Kopf stoßen und bist wahrscheinlich daran interessiert, gute Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten aufrechtzuerhalten. Deshalb geht es beim Nein sagen auch darum, wie du das tust.

Assertive Kommunikation heißt, dass du deine Bedürfnisse klar äußerst: Du machst deutlich, was dir wichtig ist. Dabei trittst du aber auch nicht aggressiv auf oder missachtest die Bedürfnisse oder Gefühle anderer. Du bleibst respektvoll und empathisch. Du sagst deine Meinung, gehst aber gleichzeitig auf die Perspektive von anderen ein – das fördert gute Gespräche und ein gegenseitiges Verständnis.

Im Job ist es oft nötig oder sinnvoll, anderen Feedback zu geben. Dabei spielt Ehrlichkeit eine entscheidende Rolle – nur dann kann die andere Person aus deinen Rückmeldungen wirklich etwas lernen. Das heißt allerdings nicht, dass du andere verletzen solltest oder deine Wortwahl egal wäre. Besonders bei Menschen, die du als sensibel oder empfindlich einschätzt, kann es hilfreich sein, bewusst auch eine positive Rückmeldung zu geben. Zwar bleibt das Negative trotzdem oft stärker hängen, aber du kannst negatives Feedback mit positiven Rückmeldungen zumindest ein Stück weit abmildern. Gleichzeitig kannst du deutlich machen, dass du die andere Person grundsätzlich schätzt.

Um von anderen nicht ausgenutzt zu werden, ist es wichtig, mögliche Konflikte frühzeitig zur Sprache zu bringen. Das sollte in einer konstruktiven Art und Weise geschehen. Mache keine Vorwürfe, sondern zeige, dass du an einvernehmlichen Lösungen interessiert bist. Ein offenes, sachliches Gespräch ist eine gute Grundlage für Kompromisse, die für alle Beteiligten fair und akzeptabel sind.

Wenn du diese Aspekte in deiner Kommunikation im Job berücksichtigst, ist es leichter, deine Bedürfnisse durchzusetzen. Zugleich bereitest du damit den Boden für gute, respektvolle Beziehungen zu anderen. So wahrst du deine Grenzen, bleibst aber dennoch freundlich und kooperativ.

Selbstachtung statt Selbstaufgabe: Strategien für den beruflichen Alltag

Im Job ist es wichtig, zwar nett, aber auch nicht zu nett zu sein. Vielen Menschen fällt es schwer, sich gegenüber anderen abzugrenzen: Wer möchte der Kollegin einen Gefallen ausschlagen, die immer so lieb ist? Wer traut sich, Nein zu sagen, wenn der Chef einen darum bittet, Extraarbeit zu erledigen?

Solche Situationen müssen nicht problematisch sein, wenn sie sich aber häufen, können sie zur Dauerbelastung für die Betroffenen werden. Eine übermäßige Anpassung an die Erwartungen anderer bis zur Selbstaufgabe können langfristig negative Auswirkungen nicht nur auf das Wohlbefinden, sondern auch auf die Leistungsfähigkeit von Betroffenen haben. Die folgenden Strategien helfen dir dabei, deine beruflichen Aufgaben zu meistern, ohne dabei deine Bedürfnisse und dein Wohlbefinden aus den Augen zu verlieren.  

Ein effektives Zeitmanagement hilft dir dabei, deine Zeit effizienter zu nutzen. Dabei ist es wichtig, realistisch zu planen und genügend Pausen vorzusehen. Produktiv sein heißt auch, dass es genug Auszeiten gibt, in denen du dich regenerieren kannst. So vermeidest du Stress und eine unnötig hohe Belastung. Gutes Zeitmanagement hilft dir, gelassener durch den Joballtag zu kommen – und wenn es doch mal jemanden gibt, dem du einen Gefallen tun möchtest, kannst du das mit einer besseren Zeitplanung eher tun. Zugleich hast du jederzeit eine realistische Vorstellung davon, ob genügend Zeit für deine Vorhaben bleibt. 

Trau dich, Aufgaben abzugeben

Wer zu nett ist, übernimmt oft zu vieles selbst – auch aus Angst, anderen Unannehmlichkeiten zu bereiten. Wenn du die Möglichkeit dazu hast, ist es allerdings sinnvoll, Aufgaben bewusst zu delegieren, um deine Arbeitsbelastung zu verringern. Nicht alles muss immer selbst erledigt werden, wenn andere es genauso gut können. Indem du Aufgaben abgibst, schaffst du dir Freiräume. Dadurch kannst du dich besser auf die Dinge konzentrieren, die wirklich wichtig sind.

Es ist im Job hilfreich, ein starkes Netzwerk zu haben. Es schützt vor Überlastung und kann dich unterstützen, wenn du in eine Nettigkeitsfalle gerätst. Der Austausch mit Kollegen, Mentoren oder Vorgesetzten kann nicht nur emotionalenRückhalt bieten. Solche Menschen können auch praktische Ratschläge geben und neue Perspektiven aufzeigen. Mit einem guten Netzwerk ist es leichter, Herausforderungen zu bewältigen und die eigenen Grenzen bewusst zu achten.  

Wege aus der Nettigkeitsfalle: So findest du die richtige Balance

  • Wer zu nett ist, riskiert, dass seine eigenen Bedürfnisse zugunsten der Wünsche anderer übergangen werden. Er gibt leichtfertig nach, äußert seine Meinung gar nicht erst oder kommt anderen weiter entgegen als sie ihm.
  • Wenn jemand übermäßig nett ist, kann das verschiedene Gründe haben. Häufig hängt es mit dem Wunsch zusammen, von allen gemocht zu werden. Eine ausgeprägte soziale Ader und Hilfsbereitschaft, aber auch ein geringes Selbstwertgefühl können ebenfalls eine Rolle spielen.
  • Zu nett zu sein, tut den Betroffenen auf Dauer nicht gut: Anderen ständig zu helfen oder immer nachzugeben, erhöht das Stresslevel und kann für Frust sorgen. Gefragt ist die richtige Balance, bei der die eigenen Bedürfnisse ebenso berücksichtigt werden wie die anderer.
  • Es gibt viele Wege aus der Nettigkeitsfalle, aber die Veränderung braucht oft Zeit: Es dauert, bis tief verwurzelte Muster durchbrochen werden können. Wer dranbleibt, kann aber zu einer neuen Selbstachtung und Zufriedenheit finden.
  • Die Betroffenen müssen lernen, ihre Meinung zu sagen und ihre Bedürfnisse klar zu äußern – und nicht sofort nachzugeben, wenn andere auf ihren Forderungen bestehen. Wer Gelegenheiten zum Üben nutzt, wird jedoch im Laufe der Zeit immer besser darin werden, für sich einzustehen.

Bildnachweis: NDAB Creativity / Shutterstock

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